Martin Gutl
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  Lebenslauf - Auszug aus einer Autobiografie
 
1942, 28. April

In Mühldorf bei Feldbach zur Welt gekommen

1949 schon in der Volksschule die Begegnung mit einem Priester und das Verlangen, selbst ein Priester zu werden.

1953 Knabenseminar in Graz
Das Ideal eines Seelsorgers "allen alles zu werden" erfasst mich. Die Mantelteilung des heiligen Martin wird zum stets gegenwärtigen Vorbild für mich.

1961 Matura, Theologiestudium in Graz

1966 Priesterweihe im Grazer Dom

1966-1969 Kaplan in Mürzzuschlag

1969 Studentenseelsorge
Lebensgefährlich viel Mitleid mit jeder Art von leidenden Menschen, mit politisch Verfolgten, Außenseitern, Süchtigen und Bettlern.

Aufbau der Telefonseelsorge in Graz gemeinsam mit dem Pastoralassistenten Franz Weritsch

Kaplan in der Innenstadt von Graz

Ab 1973 erscheinen seine ersten schriftlichen Werke regelmäß in religiösen Schriften und in Tageszeitungen

Das erste Buch "Ich begann zu beten" erscheint. Zahlreiche weitere Bücher entstehen.

1978 über ein Jahr Aufenthalt im Zisterzienserstift Rein bei Graz

1983 Pfarrer in der obersteirischen Landgemeinde St. Peter ob Judenburg.

Ab 1984 Rektor des Bildungshauses Mariatrost

Martins gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich,
Diagnose: Gehirntumor

1994, 20. August
Martins Todestag
 
 
  Über Martins Leben und Wirken ist auch eine umfangreiche Gedenkschrift vom Autor Johann Prassl erschienen.

  Nach Martins Tod gab es immer wieder Gedenkveranstaltungen im Bildungshaus Mariatrost . Letztes Jahr, zu seinem 10. Todestag, fanden Gedenkabende in der Pfarre Andritz, in Mariazell, in Feldbach und im Bildungshaus statt.  


  Einen ausführlichen Nachruf auf Martin Gutl hat
Dir. Karl Mittlinger verfasst:
  In vielen Herzen verankert.
Die schönsten Texte von Martin Gutl
Nachwort.
 

Die für den Auswahlband "In vielen Herzen verankert" (Styria Pichler verla 2004) aus dem guten Dutzend Bücher von Martin Gutl zusammengetragenen Texte können als seine besten gelten. Natürlich ist jede Auswahl subjektiv, es ließen sich sicher Argumente für ganz andere Gedichte finden.
Ein Kriterium war das Poetische: Viele seiner Texte sind, um es direkt zu sagen, religiöse Gebrauchstexte, die aus einer bestimmten Emotion heraus verfaßt, ein Ereignis, eine Begegnung tranparent werden lassen auf die Leserinnen und Leser hin: mir ergeht es genauso, auch ich bin hier gemeint, wenn ich vertraue, wenn ich meiner inneren Stimme folge, wenn ich nicht aufgebe werde ich es schaffen, wird mir Gottes Zuwendung zuteil. Mit seinen Texten will er Mut machen, Hoffnung geben, das Poetische kommt bewußt erst in zweiter Linie. Es bahnt sich immer wieder den Weg, weil es in ihm schlummert, aber er ist ein Poet, der "weiß, daß die Sprache vorläufig und die Liebe endgültig ist".


Bilder und Metaphern vermögen uns jene Bereiche der Wirklichkeit zu erschließen, vor denen wir sonst stumm und beziehungslos verharren müßten. Sie sprechen eine andere Sprache, die Sprache der Natur, die wir tief in uns gespeichert haben, die Sprache der Symbole, in denen wir die Geheimnisse des Lebens ans Licht bringen, die mythischen, die mystischen Ausdrucksweisen, in denen wir uns über Generationen hinweg verständigen.
So geben neun starke poetische Bilder diesem Buch seine Gliederung und versuchen, dem Menschen, dem Priester, dem Poeten Martin Gutl auf die Spur zu kommen.

Ein weiterer Prüfstein ist deshalb auch jener für Martin Gutl so typische Ton seiner Texte: vor allem zu Beginn seines schriftstellerischen Schaffens horchen die Menschen auf: da nennt ein Priester die Dinge beim Namen, da spricht einer ganz unverblümt von den Nöten und Sorgen der Menschen, da kommt einer nicht klerikal und theologisch hochgestochen daher, da redet einer, der das Leben kennt. Im Krankenhaus, weiß er: "Hier wird gelitten./ Hier wird gebetet,/ hier wird geflucht./ Hier wird das große Wort zur Phrase..". Es sind die litaneiähnlichen Aufzählungen, die vielen Fragen, die ihm zumeist ohne konkrete Antwort bleiben, aus denen ihm aber immer wieder seine innige, vertrauensvolle Hinwendung, ja Hingabe an Gott erwächst.

Der junge Kaplan, seine Priesterweihe empfängt er 1966, ist ein Eiferer für den Herrn. Seine immense Sprachmächtigkeit verleitet ihn wohl manchmal im Stile des Abraham a Sancta Clara, in barocker Manier von der Kanzel zu donnern, soziale Mißstände anzuprangern, auf die Gefahren des modernen Lebens hinzuweisen, es gibt Phasen starker Konsumkritik bei ihm: "Die Satten werden gebeten", beeinflußt von der Existentialphilosophie leidet er mit den Menschen an ihrer Einsamkeit, sieht er die Entfremdungen zwischen Partnern, das Verstummen, das wortlose Elend:
"Sie sehnte sich/ nach einem hohen Titel./ Er suchte/ eine makellose Haut./ Ehe sie einander kannten,/ setzten sie die Hochzeit an./ Er spielte seine Rolle./ Sie zeigte ihre Maske./ Ehe sie einander kannten,/ waren sie geschieden."

Priester ist er mit Haut und Haar. Große Priestergestalten sind dem Buben aus ärmlichen kleinbäuerlichen Verhältnissen die großen Vorbilder. Er wird 1942 in Mühldorf bei Feldbach geboren, es sind kleinbäuerliche Verhältnisse:
Geboren/ mitten im Krieg./ Viel Angst und wenig Brot."

Der Kaplan in seiner Volksschulzeit in der Heimatpfarre Feldbach, Josef Pfandner, wird ihm sein wichtigster priesterlicher Begleiter und Beichtvater werden. Feldbach ist eine bäuerliche oststeirische Region mit einer beeindruckenden Zahl von Priesterberufungen in den 50- und 60er Jahren. Martin Gutl ist der letzte in dieser Schar; die Erzieher des bischöflichen Knabenseminars dann, ein Monsignore Karl Lind, ein Spiritual Franz Vollmann; der Regens des Priesterseminars Joseph Schneiber, Professor Georg Hansemann auch, der wohl wie keiner anderer, bewußt oder unbewußt, sein Schicksal mitbestimmen sollte; sie und einige ältere Priesterfreunde haben ihm sein adsum am Tage der Priesterweihe ermöglicht:
"Fraglos Priester geworden,/ nicht ohne Fragen geblieben."

In den Jahren des Aufbruche vor und während des II. Vatikanischen Konzils wächst eine starke Generation von Priestern heran. Sie alle sind voller Träume, jetzt wird die Kirche endlich ihre Fenster weit öffnen und der Geist des Aufbruches wird Einzug halten. Den geradezu euphorischen Hoffnungen folgt jedoch der ernüchternde Alltag der kleinen, allzu kleinen Schritte; die sich auf den Sprung vorwärts eingerichtet haben, können mit der Trippelei am Platz nichts anfangen, nur Tänzer können sich auch auf engem Raum ausdrücken. Dutzende seiner Mitbrüder verlassen ihr Amt.Er ist nicht dabei, obwohl er immer mitten im Getümmel lebt, ein Fahnenträger, ein Barrikadenstürmer in seiner Jugend, ein flammender Agitator. Er geht nicht, er bleibt. Das Motiv des Tanzes zieht sich durch sein poetisches Schaffen wie ein roter Faden.

Martin Gutl ist auch ein Priester jener Generation der sog. Achtundsechziger, die aus der theologischen Sakristei ausbrechen, deren Vorbilder die französischen Arbeiterpriester sind: Priester, die den Talar mit der Arbeitskluft tauschten, in Fabriken mit den Arbeitern ihr Brot verdienten und ihre Seelsorge als Gespräch an der Werkbank verstanden.

Der obersteirische Industrieort Mürzzuschlag wird für ihn dennoch eine ernste Bewährungsprobe. In den Seminarien war ja der bäuerliche Lebensrhythmus die Basis aller seelsorgerlichen Überlegungen und auf diesen, hieß es, muß Rücksicht genommen werden. Hier auf einmal wird er mitten in alte sozialdemokratische Arbeitertraditionen hineingeworfen und muß schwimmen lernen. Seine unkonventionellen Aktionen aber auch seine rührende Hilflosigkeit werden akzeptiert, er lernt dank seiner raschen Auffassungsgabe sein Handwerk bei einem großen Seelsorger.

Er kommt als Studentenseelsorger nach Graz. Hier erleidet er das Schicksal des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, auf seine glühenden Predigten reagieren sie blasiert: "Darüber wollen wir dich ein andermal hören" (Apg 17,32). Er initiiert einen Sozialkreis, der kommt an, in diesen Jahren ist die direkte Aktion gefragt. Er versteht es, eine Gruppe auf Dauer zu verpflichten, er lotet die Grenzen der Legalität aus, wenn es um Aufenthaltsberechtigungen geht, er kommt wirklich an jene Marginalisierten heran, die ihn sein Leben lang begleiten werden, für die er später einen eigenen Sozialfonds einrichtet, weil ihn Bettler und Schnorrer ohne diese Schutzmaßnahme auch um den letzten Groschen bringen würden, denn zu Geld und kostbaren Dingen hat er kein Verhältnis; er gibt weiter, was er gerade selbst geschenkt bekommen hat, sein Namenspatron Martin ist ihm das große Vorbild.

Den Menschen Hüter sein wie der gute Hirte, die neunundneunzig zurücklassen und dem einen nachgehen, das wirkt fast wie ein posthypnotischer Auftag:
"Um jeden Preis helfen wollen,/ Den anderen Leiden erspart./ Dadurch ihr Wachsen verhindert."

Diese klare Einsicht ist ihm nicht immer in der konkreten Situation gegeben, im psychologischen Jargon würde sein Wirken wohl oft als "overprotection", als Überbehütung zu verstehen sein und seine Freunde streiten deshalb mit ihm immer wieder bis an die Grenzen der Belastbarkeit einer Freundschaft. Er kann sich dann zurückziehen und nur wenigen sind seine Beweggründe deutlich: er will Priester sein, nicht Psychologe; auch wenn er mit Franz Weritsch gemeinsam die Telefonseelsorge von Graz aufbaut aber durch diese seine Einstellung von Anfang an nicht den geforderten Weg der emotionalen Distanz mitgeht. Er läßt sich in die Gefühlswelt der Hilfesuchenden hineinziehen, er sympathisiert, d.i. er leidet mit ihnen und ist immer wieder in Gefahr, in den Malstrom der Leiden mitthinein gerissen zu werden und droht darin zugrunde zu gehen, weil die Ertrinkenden ihn umklammern und fesseln:
"Hilfe!/ Ein Mensch zertrampelt meine Seele!/ Hilfe!/ Da ist ein DU/ das mich aufsaugt!"

Er wird Kaplan in der Grazer Innenstadt. Er hat inzwischen einige Bücher veröffentlicht, er ist auf dem Weg, ein Star zu werden, die bürgerlichen Kreise beginnen sich für diesen ungeschliffenen Diamanten 'ach Gott wie reizend sein Oststeirisch, man muß es ihm abgewöhnen' zu interessieren, Parties, Einladungen, ein Herzeigepriester, einer, der abseits der klerikalen Attitüden Interesse zeigt, der hungrig ist nach Lebenserfahrung, einer der zuhört und die richtigen Worte findet, der mitten in einer Gesellschaft Raum für Intimes zu schaffen vermag: "Wir waren außer uns,/ sprachen Satz um Satz,/ ohne auf das Gewicht/ der Worte zu achten."

Es hat so etwas wie eine innere Alarmanlage, die ihn vor der sich anbahnenden Katastrophe so rechtzeitig warnt, daß er sich in Sicherheit bringen kann. Er zieht sich ab 1978 immer wieder ins älteste ständig besiedelte Zisterzienserkloster Rein-Hohenfurt bei Graz zurück. Erst als Gast, später einige Monate als Novize. Flucht ins Kloster? Oder hat er den Mönch in sich entdeckt?

"Du schreitest langsam/ durch den Kreuzgang zum Chorgebet./ Seit Jahrzehnten gehst du/ deinen gleichen Weg,/ singst du die Psalmen./ Du bist selbst ein Psalm geworden." So wird er an einen Mönch schreiben und er wird sein Traumbild beschreiben.
Ist es das Verlangen, dem Leben eine strenge Form zu geben? Den Kosmos umschreiten, in die vier Himmelsrichtungen immer die gleiche Zahl an Schritten gehen, den Tag strukturieren, Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet.

Die Sehnsucht, wesentlich zu werden. "Stille, du meine Geliebte.." Stille, mit den Worten eines Liebenden beschrieben, sie wird ihn nicht betrügen, hofft er. Aber an die Klosterpforte pochen die Menschen, sie verlangen nach ihm, können ohne ihn nicht leben. Er kann die Stille nicht finden, er hört die Hilfesuchenden flüstern, in ihrer Verzweiflung stöhnen, so dicke Klostermauern gibt es für einen Sensiblen nicht.
Oder ist es die sterbende Mutter, die ihm diesen Weg gewiesen hat? Hat sie es ihm am Sterbebett aufgetragen? Er wird sein weiteres Leben lang darüber grübeln.
Begibt sich der Novize Immanuel, so sein Klostername, im Todesjahr seiner Mutter 1980 in den Schoß einer Abtei, weil er die bergenden Gebete seiner Mutter vermißt? Und liegt der Schlüssel für den baldigen Austritt aus dem Kloster womöglich in der Erkenntnis, daß diese Sehnsucht unerfüllbar bleiben muß?
Aber der Traum von den bergenden Klostermauern bleibt.

Noch weiter weg, aufs Land, aber nicht in die Oststeiermark mit den heimeligen Hügeln, hinauf ins Bergland. Ein Dorfpfarrer sein, Taufen, Trauungen, Begräbnisse. Nach der Sonntagsmesse am Dorfplatz mit den Menschen reden, Kinder unterrichten, im Gasthaus mit den Männern ein paar Gläser trinken, in der Freizeit wandern, auf die Alm gehen. Aber wenn er aus dem Fenster schaut, sieht er den Friedhof, auf dem Schreibtisch liegen Berge von Post, Pfarrersein bringt Papierkram und für den ist er gänzlich unbegabt, es fehlt die Herausforderung, seine poetische Werkstatt verstaubt. Er erkennt, er ist nur er selbst, wenn er gefordert ist, seine Hast, seine Rastlosigkeit ist ein Teil von ihm:
"Fiebernd heiße Gedankenströme/ verbrennen die altgewohnten Rahmen/ für meine Welt- und Gottesbilder."
Es ist ihm schon lange kein Rahmen angesengt worden, er beginnt häuslich zu werden: Komm, trinken wir noch ein Glaserl.

Im diözesanen Bildungshaus ist die Stelle des geistlichen Rektors vakant. Er kennt sie alle, die dort arbeiten, dort will er hin, sie können ihm Anregung und Schutz sein. Er wird bis zu seinem Tod dort bleiben, nach den langen Wanderjahren, nach der Pilgerfahrt Heimat unter den Kirchtürmen des Marienheiligtums Mariatrost. "Zwei Türme einer barocken Kirche:/ Die Polarität des Lebens aushalten"

Hier er kann endlich das tun, was ihm schon immer ein Anliegen ist: er kann Kurse leiten, Vorträge halten, Besinnungstage für Schülerinnen und Schüler gestalten, die Nachfrage ist groß, er kann sich auf das Spirituelle konzentrieren, er hat Zeit zum Schreiben, er kann über seine Zeit verfügen. Aber es wird auch hier eine bedrohte Heimat sein, heutzutage hat jeder ein Telefon und das kann auch mitten in der Nacht immer und immer wieder läuten, da hilft kein abgeschlossener Bereich. Er sucht sich sein Nachtlager im nahegelegenen Kloster, dort gibt es kein Telefon.

Tagsüber holen sie ihn auch hier ein, Krakenarme langen in das Schifflein und zerren ihn ins tobende Wasser, umschlingen ihn, saugen ihn aus.
Ertrinkende klammern sich an und ziehen so ihre Retter oftmals mit ins Verderben.
Nur wer selbst verwundet ist, kann den Verwundeten hautnah begegnen, in verwundeten Gottesmännern aber spüren sie mehr als einen verwundeten Menschen, sie spüren den verwundeten Heiland. Und dieser kann sich nicht wehren, er ist die ideale Projektionsfäche für alle Bedürfnisse. Der Mensch hinter dem Christusrepräsentanten bleibt auf der Strecke. Er hat kein Nest, in das er sich zurückziehen kann. Oder er tut es mit schlechtem Gewissen.

"Wenn ein Mensch einen Menschen/ in Wahrheit liebt,/ wird er das rechte Maß/ für Nähe und Zurückhaltung finden./ Doch wenn ein Mensch einen andern/ mit Liebe überhäuft/ und ihn durch eine Fülle/ von Liebesbeweisen erdrückt,/ macht er den Geliebten/ von sich abhängig./ Es wird sich die echte Liebe/ nicht entfalten können."

Da steht einer auf einer Brücke, entschlossen, seinem Leben ein Ende zu machen. Ruft schnell den Martin Gutl. Eine Frau kommt einem jahrelangen Verhältnis ihres Mannes auf die Spur. Sie steht hilfesuchend vor seiner Tür. Diagnose Krebs. Martin, begleite mich! Woher die Kraft nehmen, dies alles durchzustehen? "Die tägliche Messe./ An die Wandlung glauben am Morgen, zu Mittag/ am Abend."

Bis zum Schluß wird er die Messe zelebrieren, vom Tode gezeichnet, mit tauben Fingern und der Sprache nur mehr eingeschränkt mächtig, glaubt er an die Wandlung. An die Wandlung der Herzen wider alle Vernunft. Aber wer ist schon gewillt, vernünftig zu denken, wenn er ständig erlebt, was in den Menschen an unbändigem Lebenswillen steckt.

Von Gott Ergriffene sind Katalysatoren, die allein durch ihre Anwesenheit ihre Umgebung verändern. In der Begegnung mit ihnen wissen Menschen ganz von selbst, was in ihrem Leben schief läuft, sie fassen neuen Mut, ihren verfahrenen Karren wieder flott zu machen. Er selbst war kein guter Tänzer. Aber er wußte vom Tanz Faszinierendes zu erzählen. Er war ein guter Wegweiser.
"Er gebot ihnen/ zu springen,/ die Schwerkraft/ zu brechen,/ aus der Reihe/ von Ursache/ und Wirkung/ zu tanzen."

Die tägliche Überforderung, er kann sich vor dem Leid nicht schützen. Er wird überall angesprochen, jedes Zugabteil wird zum Aussprachezimmer. Er kann aber auch selbst nicht abschalten. Den Gegenübersitzenden spricht er stumm Gottes Segen zu. Ist es ein Wunder, wenn dieser Mensch mit seiner Beichte beginnt? Aber es genügt während des Nachsinnens über Gehörtes, Gelesenes auch ein Blick aus dem Fenster:
"Da zuckt das Gesicht eines Unglücklichen/ vor mir auf./ Die Unruhe erfaßt mich aufs neue./ Warum bleibt kein Augenblick stehen?"

Die Menschen mit ihren Schicksalen werden ihm durchsichtig für die Wirklichkeit Jesu. Hinter aller Hektik mystisches Aufblitzen einer anderen Wirklichkeit:
"Ich habe ein Gesicht gesehen,/ ein Gesicht aus Fleisch und Blut./ In dem Gesicht sah ich ein anderes Gesicht./ Es kam von weiter her/ als von meinem Gegenüber./ Geblieben ist der Blick,/ der vor mir weiterwandert/ wie der Stern von Bethlehem."

In seinen Texten klingt von Anfang an eine Melodie, die er zunächst, von sich abgehoben, unbefangen summt und singt: es ist seine innige Verbindung mit Jesus:
"Er ist ein Mensch geworden wie wir,/ eingeklemmt zwischen Geburt und Tod,/ zermürbenden Mächten ausgesetzt"

Er sieht auch sein Leben in dieser Ausgesetztheit und weiß sich bei Jesus in guter Gesellschaft: "Er lebte im Zwiespalt,/ versucht und verlassen;/ er ist zugrunde gegangen/ mit der Frage: Warum?/ Seine Antwort ermutigt uns/ zum Leben."

Und in dem Text: JESUS/ Einer kam/ und zeigte,/ wie ein Blitzlicht,/ einen Bruchteil / der Geschichte,/ was ein Mensch/ sein könnte." verknappt er sein Glaubensbekenntnis, seine Selbsterkenntnis in einem einzigen begnadeten Satz.
Aus dieser Orientierung heraus gibt es für ihn nur die Gefahr, vom Jesusweg abzukommen und so fleht er in vielen Texten um den Beistand Gottes auf seinem Weg:
"Gib mich nie auf, o Gott,/ mag ich noch so widerspenstig sein".

So wird aus dem lauten Kämpfer langsam ein stiller Beter, der unentwegt seine Fragen an Gott richtet. Fragen über Fragen. Aber aus den Fragen, den Anklagen, aus der Auflehnung über so viel Elend und Leid wird langsam Einverständnis. Seine Zwiesprache wird eindringlicher, er wird seiner Mutter immer ahnlicher in seinem Beten:
"Du warst versunken/beim Beten in Gott./ Dir ist nichts erspart geblieben./ Du bist mehr als andere/ herausgefordert worden./ Du hast gezeigt/ wie stark Gott ist."

Auch für sich selbst wird er das spüren. Auf sein Gedenkbildchen zum silbernen Priesterjubiläum 1991 wird er intuitiv den Text drucken lassen, in dem er den Psalm 23 meditiert: "Du wirst mir nichts ersparen,/ nicht den Weg durch die Wüste,/ nicht den Kampf mit dem Goliat,/ nicht den Aschenhaufen des Hiob,/ nicht den Sitz unter dem Ginsterstrauch,/ nicht das babylonische Exil -/ Der Herr ist mein Hirt,/ Er wird mich ins Grab bringen/ und wieder heraus -".
Er wird dazu den Holzschnitt von Abrahams Berufung durch Gott aus dem gemeinsamen Buch "du bist Abraham" drucken lassen, in dem der Finger Gottes direkt auf den Kopf Abrahams zeigt. Und er wird einige Zeit später von seinem Kopftumor erfahren und ihn betroffen als diesen Fingerzeig Gottes deuten, nicht anklagend, eher verwundert, daß auch ihm so etwas widerfährt.

Er kann auch in dieser Situation auf seine spirituelle Vorarbeit zurückgreifen, den Angehörigen und Freunden der vielen Menschen, die er auf ihren letzten Weg begleitet, erzählt er immer wieder von seiner Hoffnung, so wird seine Nachdichtung des Psalm 126 sein bekanntester Text werden:
"Wenn Gott uns heimführt/ aus den Tagen der Wanderschaft,/ uns heimbringt/ aus der Dämmerung/ in Sein beglückendes Licht,/ das wird ein Fest sein!"
Dieser Text wird auch bei seiner eignenen Begräbnismesse gesungen werden und in jubelnder Auferstehungshoffnung wird aus Händels Messias "Ich weiß, daß mein Erlöser lebet" erklingen. Denn für ihn werden sich die Türen von innen öffnen, davon werden an seinem Grabe alle überzeugt sein.

Diagnose Hypophysentumor. Ein monatelanges Rätselraten um verschiedene Symptome der Erschöpfung, des Gedächtnisausfalles und starker Kopfschmerzen geht seinem Ende entgegen. Was folgt, sind Operationen, Bestrahlungen, Kuraufenthalte, angestrengte Rehabilitations-bemühungen, Hoffnung und Bangen. Es folgen noch drei Jahre eingeschränktes Leben, Jahre des Abschiednehmens. Das Poetische kommt ihm abhanden, nicht aber seine geistliche Begabung, Menschen Mut und Trost zuzusprechen; sein Wirkungskreis verengt sich, sein Glaube wächst in die Sphäre des vertrauenden Kindes. Jahre der inneren Reifung. Er, der in vielen Kursen und Vorträgen immer wieder von Mystik geredet hatte, darf diesen Weg in den letzten Lebensmonaten ein Stück weit gehen, er darf über die Mauer in den göttlichen Bezirk schauen; er werde sich in andere Räume aufmachen, flüstert er und weist mit seinen Händen zum Horizont, den er von seinem Fenster aus über dem nahen Wald des Tannhofes als den Ort des Sonnenaufganges weiß, es ist kurz vor seinem Sterben, seinem Meisterstück.
(Auf die Verweise im angeführten Buch wurde verzichtet, K.M.)

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