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Die für den Auswahlband
"In vielen Herzen verankert" (Styria Pichler verla 2004)
aus dem guten Dutzend Bücher von Martin Gutl zusammengetragenen
Texte können als seine besten gelten. Natürlich ist jede
Auswahl subjektiv, es ließen sich sicher Argumente für
ganz andere Gedichte finden.
Ein Kriterium war das Poetische: Viele seiner Texte sind, um es
direkt zu sagen, religiöse Gebrauchstexte, die aus einer bestimmten
Emotion heraus verfaßt, ein Ereignis, eine Begegnung tranparent
werden lassen auf die Leserinnen und Leser hin: mir ergeht es genauso,
auch ich bin hier gemeint, wenn ich vertraue, wenn ich meiner inneren
Stimme folge, wenn ich nicht aufgebe werde ich es schaffen, wird
mir Gottes Zuwendung zuteil. Mit seinen Texten will er Mut machen,
Hoffnung geben, das Poetische kommt bewußt erst in zweiter
Linie. Es bahnt sich immer wieder den Weg, weil es in ihm schlummert,
aber er ist ein Poet, der "weiß, daß die Sprache
vorläufig und die Liebe endgültig ist".
Bilder und Metaphern vermögen uns jene Bereiche der Wirklichkeit
zu erschließen, vor denen wir sonst stumm und beziehungslos
verharren müßten. Sie sprechen eine andere Sprache, die
Sprache der Natur, die wir tief in uns gespeichert haben, die Sprache
der Symbole, in denen wir die Geheimnisse des Lebens ans Licht bringen,
die mythischen, die mystischen Ausdrucksweisen, in denen wir uns
über Generationen hinweg verständigen.
So geben neun starke poetische Bilder diesem Buch seine Gliederung
und versuchen, dem Menschen, dem Priester, dem Poeten Martin Gutl
auf die Spur zu kommen.
Ein weiterer Prüfstein ist deshalb auch jener für Martin
Gutl so typische Ton seiner Texte: vor allem zu Beginn seines schriftstellerischen
Schaffens horchen die Menschen auf: da nennt ein Priester die Dinge
beim Namen, da spricht einer ganz unverblümt von den Nöten
und Sorgen der Menschen, da kommt einer nicht klerikal und theologisch
hochgestochen daher, da redet einer, der das Leben kennt. Im Krankenhaus,
weiß er: "Hier wird gelitten./ Hier wird gebetet,/ hier
wird geflucht./ Hier wird das große Wort zur Phrase..".
Es sind die litaneiähnlichen Aufzählungen, die vielen
Fragen, die ihm zumeist ohne konkrete Antwort bleiben, aus denen
ihm aber immer wieder seine innige, vertrauensvolle Hinwendung,
ja Hingabe an Gott erwächst.
Der junge Kaplan, seine Priesterweihe empfängt er 1966, ist
ein Eiferer für den Herrn. Seine immense Sprachmächtigkeit
verleitet ihn wohl manchmal im Stile des Abraham a Sancta Clara,
in barocker Manier von der Kanzel zu donnern, soziale Mißstände
anzuprangern, auf die Gefahren des modernen Lebens hinzuweisen,
es gibt Phasen starker Konsumkritik bei ihm: "Die Satten werden
gebeten", beeinflußt von der Existentialphilosophie leidet
er mit den Menschen an ihrer Einsamkeit, sieht er die Entfremdungen
zwischen Partnern, das Verstummen, das wortlose Elend:
"Sie sehnte sich/ nach einem hohen Titel./ Er suchte/ eine
makellose Haut./ Ehe sie einander kannten,/ setzten sie die Hochzeit
an./ Er spielte seine Rolle./ Sie zeigte ihre Maske./ Ehe sie einander
kannten,/ waren sie geschieden."
Priester ist er mit Haut und Haar. Große Priestergestalten
sind dem Buben aus ärmlichen kleinbäuerlichen Verhältnissen
die großen Vorbilder. Er wird 1942 in Mühldorf bei Feldbach
geboren, es sind kleinbäuerliche Verhältnisse:
Geboren/ mitten
im Krieg./ Viel Angst und wenig Brot."
Der Kaplan in seiner Volksschulzeit in der Heimatpfarre Feldbach,
Josef Pfandner, wird ihm sein wichtigster priesterlicher Begleiter
und Beichtvater werden. Feldbach ist eine bäuerliche oststeirische
Region mit einer beeindruckenden Zahl von Priesterberufungen in
den 50- und 60er Jahren. Martin Gutl ist der letzte in dieser Schar;
die Erzieher des bischöflichen Knabenseminars dann, ein Monsignore
Karl Lind, ein Spiritual Franz Vollmann; der Regens des Priesterseminars
Joseph Schneiber, Professor Georg Hansemann auch, der wohl wie keiner
anderer, bewußt oder unbewußt, sein Schicksal mitbestimmen
sollte; sie und einige ältere Priesterfreunde haben ihm sein
adsum am Tage der Priesterweihe ermöglicht:
"Fraglos Priester geworden,/ nicht ohne Fragen geblieben."
In den Jahren des Aufbruche vor und während des II. Vatikanischen
Konzils wächst eine starke Generation von Priestern heran.
Sie alle sind voller Träume, jetzt wird die Kirche endlich
ihre Fenster weit öffnen und der Geist des Aufbruches wird
Einzug halten. Den geradezu euphorischen Hoffnungen folgt jedoch
der ernüchternde Alltag der kleinen, allzu kleinen Schritte;
die sich auf den Sprung vorwärts eingerichtet haben, können
mit der Trippelei am Platz nichts anfangen, nur Tänzer können
sich auch auf engem Raum ausdrücken. Dutzende seiner Mitbrüder
verlassen ihr Amt.Er ist nicht dabei, obwohl er immer mitten im
Getümmel lebt, ein Fahnenträger, ein Barrikadenstürmer
in seiner Jugend, ein flammender Agitator. Er geht nicht, er bleibt.
Das Motiv des Tanzes zieht sich durch sein poetisches Schaffen wie
ein roter Faden.
Martin Gutl ist auch ein Priester jener Generation der sog. Achtundsechziger,
die aus der theologischen Sakristei ausbrechen, deren Vorbilder
die französischen Arbeiterpriester sind: Priester, die den
Talar mit der Arbeitskluft tauschten, in Fabriken mit den Arbeitern
ihr Brot verdienten und ihre Seelsorge als Gespräch an der
Werkbank verstanden.
Der obersteirische Industrieort Mürzzuschlag wird für
ihn dennoch eine ernste Bewährungsprobe. In den Seminarien
war ja der bäuerliche Lebensrhythmus die Basis aller seelsorgerlichen
Überlegungen und auf diesen, hieß es, muß Rücksicht
genommen werden. Hier auf einmal wird er mitten in alte sozialdemokratische
Arbeitertraditionen hineingeworfen und muß schwimmen lernen.
Seine unkonventionellen Aktionen aber auch seine rührende Hilflosigkeit
werden akzeptiert, er lernt dank seiner raschen Auffassungsgabe
sein Handwerk bei einem großen Seelsorger.
Er kommt als Studentenseelsorger nach Graz. Hier erleidet er das
Schicksal des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, auf seine
glühenden Predigten reagieren sie blasiert: "Darüber
wollen wir dich ein andermal hören" (Apg 17,32). Er initiiert
einen Sozialkreis, der kommt an, in diesen Jahren ist die direkte
Aktion gefragt. Er versteht es, eine Gruppe auf Dauer zu verpflichten,
er lotet die Grenzen der Legalität aus, wenn es um Aufenthaltsberechtigungen
geht, er kommt wirklich an jene Marginalisierten heran, die ihn
sein Leben lang begleiten werden, für die er später einen
eigenen Sozialfonds einrichtet, weil ihn Bettler und Schnorrer ohne
diese Schutzmaßnahme auch um den letzten Groschen bringen
würden, denn zu Geld und kostbaren Dingen hat er kein Verhältnis;
er gibt weiter, was er gerade selbst geschenkt bekommen hat, sein
Namenspatron Martin ist ihm das große Vorbild.
Den Menschen Hüter sein wie der gute Hirte, die neunundneunzig
zurücklassen und dem einen nachgehen, das wirkt fast wie ein
posthypnotischer Auftag:
"Um jeden Preis helfen wollen,/ Den anderen Leiden erspart./
Dadurch ihr Wachsen verhindert."
Diese klare Einsicht ist ihm nicht immer in der konkreten Situation
gegeben, im psychologischen Jargon würde sein Wirken wohl oft
als "overprotection", als Überbehütung zu verstehen
sein und seine Freunde streiten deshalb mit ihm immer wieder bis
an die Grenzen der Belastbarkeit einer Freundschaft. Er kann sich
dann zurückziehen und nur wenigen sind seine Beweggründe
deutlich: er will Priester sein, nicht Psychologe; auch wenn er
mit Franz Weritsch gemeinsam die Telefonseelsorge von Graz aufbaut
aber durch diese seine Einstellung von Anfang an nicht den geforderten
Weg der emotionalen Distanz mitgeht. Er läßt sich in
die Gefühlswelt der Hilfesuchenden hineinziehen, er sympathisiert,
d.i. er leidet mit ihnen und ist immer wieder in Gefahr, in den
Malstrom der Leiden mitthinein gerissen zu werden und droht darin
zugrunde zu gehen, weil die Ertrinkenden ihn umklammern und fesseln:
"Hilfe!/ Ein Mensch zertrampelt meine Seele!/ Hilfe!/ Da ist
ein DU/ das mich aufsaugt!"
Er wird Kaplan in der Grazer Innenstadt. Er hat inzwischen einige
Bücher veröffentlicht, er ist auf dem Weg, ein Star zu
werden, die bürgerlichen Kreise beginnen sich für diesen
ungeschliffenen Diamanten 'ach Gott wie reizend sein Oststeirisch,
man muß es ihm abgewöhnen' zu interessieren, Parties,
Einladungen, ein Herzeigepriester, einer, der abseits der klerikalen
Attitüden Interesse zeigt, der hungrig ist nach Lebenserfahrung,
einer der zuhört und die richtigen Worte findet, der mitten
in einer Gesellschaft Raum für Intimes zu schaffen vermag:
"Wir waren außer uns,/ sprachen Satz um Satz,/ ohne auf
das Gewicht/ der Worte zu achten."
Es hat so etwas wie eine innere Alarmanlage, die ihn vor der sich
anbahnenden Katastrophe so rechtzeitig warnt, daß er sich
in Sicherheit bringen kann. Er zieht sich ab 1978 immer wieder ins
älteste ständig besiedelte Zisterzienserkloster Rein-Hohenfurt
bei Graz zurück. Erst als Gast, später einige Monate als
Novize. Flucht ins Kloster? Oder hat er den Mönch in sich entdeckt?
"Du schreitest langsam/ durch den Kreuzgang zum Chorgebet./
Seit Jahrzehnten gehst du/ deinen gleichen Weg,/ singst du die Psalmen./
Du bist selbst ein Psalm geworden." So wird er an einen Mönch
schreiben und er wird sein Traumbild beschreiben.
Ist es das Verlangen, dem Leben eine strenge Form zu geben? Den
Kosmos umschreiten, in die vier Himmelsrichtungen immer die gleiche
Zahl an Schritten gehen, den Tag strukturieren, Laudes, Terz, Sext,
Non, Vesper, Komplet.
Die Sehnsucht, wesentlich zu werden. "Stille, du meine Geliebte.."
Stille, mit den Worten eines Liebenden beschrieben, sie wird ihn
nicht betrügen, hofft er. Aber an die Klosterpforte pochen
die Menschen, sie verlangen nach ihm, können ohne ihn nicht
leben. Er kann die Stille nicht finden, er hört die Hilfesuchenden
flüstern, in ihrer Verzweiflung stöhnen, so dicke Klostermauern
gibt es für einen Sensiblen nicht.
Oder ist es die sterbende Mutter, die ihm diesen Weg gewiesen hat?
Hat sie es ihm am Sterbebett aufgetragen? Er wird sein weiteres
Leben lang darüber grübeln.
Begibt sich der Novize Immanuel, so sein Klostername, im Todesjahr
seiner Mutter 1980 in den Schoß einer Abtei, weil er die bergenden
Gebete seiner Mutter vermißt? Und liegt der Schlüssel
für den baldigen Austritt aus dem Kloster womöglich in
der Erkenntnis, daß diese Sehnsucht unerfüllbar bleiben
muß?
Aber der Traum von den bergenden Klostermauern bleibt.
Noch weiter weg, aufs Land, aber nicht in die Oststeiermark mit
den heimeligen Hügeln, hinauf ins Bergland. Ein Dorfpfarrer
sein, Taufen, Trauungen, Begräbnisse. Nach der Sonntagsmesse
am Dorfplatz mit den Menschen reden, Kinder unterrichten, im Gasthaus
mit den Männern ein paar Gläser trinken, in der Freizeit
wandern, auf die Alm gehen. Aber wenn er aus dem Fenster schaut,
sieht er den Friedhof, auf dem Schreibtisch liegen Berge von Post,
Pfarrersein bringt Papierkram und für den ist er gänzlich
unbegabt, es fehlt die Herausforderung, seine poetische Werkstatt
verstaubt. Er erkennt, er ist nur er selbst, wenn er gefordert ist,
seine Hast, seine Rastlosigkeit ist ein Teil von ihm:
"Fiebernd heiße Gedankenströme/ verbrennen die altgewohnten
Rahmen/ für meine Welt- und Gottesbilder."
Es ist ihm schon lange kein Rahmen angesengt worden, er beginnt
häuslich zu werden: Komm, trinken wir noch ein Glaserl.
Im diözesanen Bildungshaus ist die Stelle des geistlichen Rektors
vakant. Er kennt sie alle, die dort arbeiten, dort will er hin,
sie können ihm Anregung und Schutz sein. Er wird bis zu seinem
Tod dort bleiben, nach den langen Wanderjahren, nach der Pilgerfahrt
Heimat unter den Kirchtürmen des Marienheiligtums Mariatrost.
"Zwei Türme einer barocken Kirche:/ Die Polarität
des Lebens aushalten"
Hier er kann endlich das tun, was ihm schon immer ein Anliegen ist:
er kann Kurse leiten, Vorträge halten, Besinnungstage für
Schülerinnen und Schüler gestalten, die Nachfrage ist
groß, er kann sich auf das Spirituelle konzentrieren, er hat
Zeit zum Schreiben, er kann über seine Zeit verfügen.
Aber es wird auch hier eine bedrohte Heimat sein, heutzutage hat
jeder ein Telefon und das kann auch mitten in der Nacht immer und
immer wieder läuten, da hilft kein abgeschlossener Bereich.
Er sucht sich sein Nachtlager im nahegelegenen Kloster, dort gibt
es kein Telefon.
Tagsüber holen sie ihn auch hier ein, Krakenarme langen in
das Schifflein und zerren ihn ins tobende Wasser, umschlingen ihn,
saugen ihn aus.
Ertrinkende klammern sich an und ziehen so ihre Retter oftmals mit
ins Verderben.
Nur wer selbst verwundet ist, kann den Verwundeten hautnah begegnen,
in verwundeten Gottesmännern aber spüren sie mehr als
einen verwundeten Menschen, sie spüren den verwundeten Heiland.
Und dieser kann sich nicht wehren, er ist die ideale Projektionsfäche
für alle Bedürfnisse. Der Mensch hinter dem Christusrepräsentanten
bleibt auf der Strecke. Er hat kein Nest, in das er sich zurückziehen
kann. Oder er tut es mit schlechtem Gewissen.
"Wenn ein Mensch einen Menschen/ in Wahrheit liebt,/ wird er
das rechte Maß/ für Nähe und Zurückhaltung
finden./ Doch wenn ein Mensch einen andern/ mit Liebe überhäuft/
und ihn durch eine Fülle/ von Liebesbeweisen erdrückt,/
macht er den Geliebten/ von sich abhängig./ Es wird sich die
echte Liebe/ nicht entfalten können."
Da steht einer auf einer Brücke, entschlossen, seinem Leben
ein Ende zu machen. Ruft schnell den Martin Gutl. Eine Frau kommt
einem jahrelangen Verhältnis ihres Mannes auf die Spur. Sie
steht hilfesuchend vor seiner Tür. Diagnose Krebs. Martin,
begleite mich! Woher die Kraft nehmen, dies alles durchzustehen?
"Die tägliche Messe./ An die Wandlung glauben am Morgen,
zu Mittag/ am Abend."
Bis zum Schluß wird er die Messe zelebrieren, vom Tode gezeichnet,
mit tauben Fingern und der Sprache nur mehr eingeschränkt mächtig,
glaubt er an die Wandlung. An die Wandlung der Herzen wider alle
Vernunft. Aber wer ist schon gewillt, vernünftig zu denken,
wenn er ständig erlebt, was in den Menschen an unbändigem
Lebenswillen steckt.
Von Gott Ergriffene sind Katalysatoren, die allein durch ihre Anwesenheit
ihre Umgebung verändern. In der Begegnung mit ihnen wissen
Menschen ganz von selbst, was in ihrem Leben schief läuft,
sie fassen neuen Mut, ihren verfahrenen Karren wieder flott zu machen.
Er selbst war kein guter Tänzer. Aber er wußte vom Tanz
Faszinierendes zu erzählen. Er war ein guter Wegweiser.
"Er gebot ihnen/ zu springen,/ die Schwerkraft/ zu brechen,/
aus der Reihe/ von Ursache/ und Wirkung/ zu tanzen."
Die tägliche Überforderung, er kann sich vor dem Leid
nicht schützen. Er wird überall angesprochen, jedes Zugabteil
wird zum Aussprachezimmer. Er kann aber auch selbst nicht abschalten.
Den Gegenübersitzenden spricht er stumm Gottes Segen zu. Ist
es ein Wunder, wenn dieser Mensch mit seiner Beichte beginnt? Aber
es genügt während des Nachsinnens über Gehörtes,
Gelesenes auch ein Blick aus dem Fenster:
"Da zuckt das Gesicht eines Unglücklichen/ vor mir auf./
Die Unruhe erfaßt mich aufs neue./ Warum bleibt kein Augenblick
stehen?"
Die Menschen mit ihren Schicksalen werden ihm durchsichtig für
die Wirklichkeit Jesu. Hinter aller Hektik mystisches Aufblitzen
einer anderen Wirklichkeit:
"Ich habe ein Gesicht gesehen,/ ein Gesicht aus Fleisch und
Blut./ In dem Gesicht sah ich ein anderes Gesicht./ Es kam von weiter
her/ als von meinem Gegenüber./ Geblieben ist der Blick,/ der
vor mir weiterwandert/ wie der Stern von Bethlehem."
In seinen Texten klingt von Anfang an eine Melodie, die er zunächst,
von sich abgehoben, unbefangen summt und singt: es ist seine innige
Verbindung mit Jesus:
"Er ist ein Mensch geworden wie wir,/ eingeklemmt zwischen
Geburt und Tod,/ zermürbenden Mächten ausgesetzt"
Er sieht auch sein Leben in dieser Ausgesetztheit und weiß
sich bei Jesus in guter Gesellschaft: "Er lebte im Zwiespalt,/
versucht und verlassen;/ er ist zugrunde gegangen/ mit der Frage:
Warum?/ Seine Antwort ermutigt uns/ zum Leben."
Und in dem Text: JESUS/ Einer kam/ und zeigte,/ wie ein Blitzlicht,/
einen Bruchteil / der Geschichte,/ was ein Mensch/ sein könnte."
verknappt er sein Glaubensbekenntnis, seine Selbsterkenntnis in
einem einzigen begnadeten Satz.
Aus dieser Orientierung heraus gibt es für ihn nur die Gefahr,
vom Jesusweg abzukommen und so fleht er in vielen Texten um den
Beistand Gottes auf seinem Weg:
"Gib mich nie auf, o Gott,/ mag ich noch so widerspenstig sein".
So wird aus dem lauten Kämpfer langsam ein stiller Beter, der
unentwegt seine Fragen an Gott richtet. Fragen über Fragen.
Aber aus den Fragen, den Anklagen, aus der Auflehnung über
so viel Elend und Leid wird langsam Einverständnis. Seine Zwiesprache
wird eindringlicher, er wird seiner Mutter immer ahnlicher in seinem
Beten:
"Du warst versunken/beim Beten in Gott./ Dir ist nichts erspart
geblieben./ Du bist mehr als andere/ herausgefordert worden./ Du
hast gezeigt/ wie stark Gott ist."
Auch für sich selbst wird er das spüren. Auf sein Gedenkbildchen
zum silbernen Priesterjubiläum 1991 wird er intuitiv den Text
drucken lassen, in dem er den Psalm 23 meditiert: "Du wirst
mir nichts ersparen,/ nicht den Weg durch die Wüste,/ nicht
den Kampf mit dem Goliat,/ nicht den Aschenhaufen des Hiob,/ nicht
den Sitz unter dem Ginsterstrauch,/ nicht das babylonische Exil
-/ Der Herr ist mein Hirt,/ Er wird mich ins Grab bringen/ und wieder
heraus -".
Er wird dazu den Holzschnitt von Abrahams Berufung durch Gott aus
dem gemeinsamen Buch "du bist Abraham" drucken lassen,
in dem der Finger Gottes direkt auf den Kopf Abrahams zeigt. Und
er wird einige Zeit später von seinem Kopftumor erfahren und
ihn betroffen als diesen Fingerzeig Gottes deuten, nicht anklagend,
eher verwundert, daß auch ihm so etwas widerfährt.
Er kann auch in dieser Situation auf seine spirituelle Vorarbeit
zurückgreifen, den Angehörigen und Freunden der vielen
Menschen, die er auf ihren letzten Weg begleitet, erzählt er
immer wieder von seiner Hoffnung, so wird seine Nachdichtung des
Psalm 126 sein bekanntester Text werden:
"Wenn Gott uns heimführt/ aus den Tagen der Wanderschaft,/
uns heimbringt/ aus der Dämmerung/ in Sein beglückendes
Licht,/ das wird ein Fest sein!"
Dieser Text wird auch bei seiner eignenen Begräbnismesse gesungen
werden und in jubelnder Auferstehungshoffnung wird aus Händels
Messias "Ich weiß, daß mein Erlöser lebet"
erklingen. Denn für ihn werden sich die Türen von innen
öffnen, davon werden an seinem Grabe alle überzeugt sein.
Diagnose Hypophysentumor. Ein monatelanges Rätselraten um verschiedene
Symptome der Erschöpfung, des Gedächtnisausfalles und
starker Kopfschmerzen geht seinem Ende entgegen. Was folgt, sind
Operationen, Bestrahlungen, Kuraufenthalte, angestrengte Rehabilitations-bemühungen,
Hoffnung und Bangen. Es folgen noch drei Jahre eingeschränktes
Leben, Jahre des Abschiednehmens. Das Poetische kommt ihm abhanden,
nicht aber seine geistliche Begabung, Menschen Mut und Trost zuzusprechen;
sein Wirkungskreis verengt sich, sein Glaube wächst in die
Sphäre des vertrauenden Kindes. Jahre der inneren Reifung.
Er, der in vielen Kursen und Vorträgen immer wieder von Mystik
geredet hatte, darf diesen Weg in den letzten Lebensmonaten ein
Stück weit gehen, er darf über die Mauer in den göttlichen
Bezirk schauen; er werde sich in andere Räume aufmachen, flüstert
er und weist mit seinen Händen zum Horizont, den er von seinem
Fenster aus über dem nahen Wald des Tannhofes als den Ort des
Sonnenaufganges weiß, es ist kurz vor seinem Sterben, seinem
Meisterstück.
(Auf die Verweise im angeführten Buch wurde verzichtet, K.M.)
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